Zwetana Penova,
Service & Product Design

Didaktisches Design in den Schulferien

Published July 18, 2012

In Berlin sind gerade Schulferien und durch unsere Wohnung flattern die Arbeitsblätter meiner Tochter. Deutsch, Englisch, Mathe, noch mal Mathe, wieder Mathe, Deutsch, Englisch, ach nein, Sachkunde … Meine Tochter hat die vierte Grundschulklasse hinter sich gebracht, und nun möchten wir für die Sommerferien das Thema „Schule“ ausblenden.

Voll guter Vorsätze beginne ich die Arbeitsblätter zu sammeln und zu sortieren. Gleich sehe ich die Klage der Lehrer, sie hätten viel zu wenig Zeit, in einem anderen Licht. Klar haben sie nicht viel Zeit, sie basteln ja leidenschaftlich gern Arbeitsblätter! Jawohl, bei diesem DIN A4 - Stapel auf meinem Schoß handelt es sich nicht bloß um einfache Fotokopien aus den Lehrbüchern, oh nein, hier finde ich gesammelte Unikate. Nun, aus welcher Motivation heraus die Lehrer diese zusätzliche Arbeit auf sich nehmen ist bekannt - sie möchten sich nicht auf ein Buch festlegen und bemühen sich, optimale Inhalte für ihre Schützlinge zusammenzustellen. Was mich als Designer bei diesen Arbeitsblättern gleich stutzig macht, ist deren Gebrauchstauglichkeit.

Erster Eindruck

Also, dieser Stapel - mir fällt es sehr schwer, die vier Fächer auseinanderzuhalten. Alle Blätter sehen völlig gleich aus – fotokopiert oder ausgedruckt auf dem umweltfreundlichen, gräulichen, 70g A4-Papier. Manche Blätter haben graue Streifen von der Farbkartusche an den Rändern, andere sind schlecht zu lesen, offensichtlich ist die Farbe schon fast ausgegangen. Diese Blätter sollen die individuellen Kompetenzen der Kinder fördern, aber irgendwie tut es mir schon leid, dass meine Tochter die schön illustrierten, bunten Grundschulbücher, die ich bei der DIDACTA bewundern kann, nur bei mir im Büro zu sehen bekommt.

Quellen, Technik

Die Arbeitsblätter werden offensichtlich folgendermaßen erstellt: Variante 1. Auf dem PC in Word zusammengesetzt, sind die Aufgaben aus verschiedensten Quellen kombiniert – zahlreiche Internetplattformen, Scans aus den Lehrbüchern und eigene Kreationen. Variante 2. Der Evergreen unter den Arbeitsblätter: Die einzelnen Aufgaben werden aus verschiedenen Quellen fotokopiert, ausgeschnitten, auf ein A4-Blatt geklebt und dann als Endprodukt noch einmal fotokopiert. Im Anschluss wird das Arbeitsblatt, ganz gleich ob Variante 1 oder Variante 2, im Lehrerzimmer am Kopierer vervielfältigt.

Layout

Beim Layout steht die Menge im Vordergrund – es wird versucht, auf ein A4-Blatt möglichst viele Informationen unterzubringen. Das gelingt nur mit optimaler Nutzung der Seitenbreite (ca 3 bis 5 mm Rand) und mit relativ kleiner Schrift. Vor allem die Textaufgaben bekommen dadurch schnell den Charme eines Finanzamtsbriefes. Bei den Arbeitsblättern beobachte ich Versuche, die Anordnung auf dem Blatt etwas aufzulocken. Vor allem in den Matheaufgaben wird ab und an die strenge Zweispaltigkeit durchbrochen, indem eine Aufgabe schräg gestellt wird. Oder ist da aus Versehen etwas verrutscht?

Typografie

In der vierten Klasse können die meistens Kinder schon sehr gut lesen und sind nicht mehr auf große Anfängerleseschrift angewiesen. So habe ich die folgende Kombination auf den Arbeitsblättern bei uns Zuhause vorgefunden: Die fotokopierte Aufgabe aus einem Lehrwerk ist in der grundschultypischen Schrift gesetzt, kann aber verkleinert werden, während selbstgeschriebene oder im Internet gefundene Aufgaben in den Systemschriften gesetzt werden.

Bild

Bilder, ob Illustration oder Fotografie, spielen in diesen Arbeitsblättern keine wesentliche Rolle. Sogar bei den Sachkundeaufgaben zur Orientierung auf Karten kann man wirklich wenig von dem Bild erkennen. Die Illustrationselemente aus den Verlagsbüchern sind auf den Fotokopien nicht gut zu erkennen und das Bildmaterial aus dem Internet ist entweder nicht ausreichend aufgelöst oder als Vorlage für eine Schwarz-Weiß-Kopie nicht geeignet.

Didaktische Führung

Durch das eintönige, kontrastarme Layout fällt es schwer, sich auf diesen Blättern zu orientieren – wo ist die Aufgabestellung, wo finde ich die vorgegebenen Arbeitsschritte oder die Selbstkontrolle? Antworten auf diese Fragen, die sich durch das Design intuitiv erschließen könnten, müssen die Kinder mühsam suchen.

Gesamturteil

Kompakt zusammengefasst, auch wenn diese Arbeitsblätter didaktisch hervorragend sind, daran möchte ich gar nicht zweifeln, muss gesagt werden: Sie tragen mit ihrer Erscheinung wenig dazu bei, die Kinder zum Lernen zu motivieren. Sie helfen Kindern nicht, das neue Wissen anzuordnen, geben keine Stützen, um die Inhalte zu behalten, und auch bei der Selbstorganisation (Einsortieren der Blätter) gibt es für die Schüler keine Erleichterung.

Empfehlung

Da mein Gesamturteil so kritisch ausgefallen ist, möchte ich nun überlegen, wie man die Arbeitsblätter gestalterisch verbessern könnte. Diese Empfehlung richtet sich nun an die Lehrer, die es für wichtig halten, eigene Arbeitsblätter zu erstellen.

    1. Die Fotokopierästhetik hat in der Geschichte der visuellen Kommunikation einen eigenen Platz. In den Zeiten, als die Druckproduktion noch sehr teuer war, machten sich viele Punkmusiker und Künstler die günstigere Xerox-Technologie zunutze, um eigene Flyer und Plakate zu produzieren. Grundschule und Punk sind natürlich weit voneinander entfernt, jedoch ist der Einsatz der Fotokopie dabei ein gemeinsamer ästhetischer Nenner.
    1. Die Fächer auf den Arbeitsblättern sollen klarer markiert werden, damit die Kinder und auch die Lehrer sie auseinanderhalten können. Das könnte z. B. durch in eine Ecke eingefügte Icons erreicht werden, durch die Papierfarbe oder einfach durch eine klare Überschrift.
    1. Es ist notwendig, verstärkt auf kontrastreiche typografische Hierarchien zu achten, da die fotokopierten Blätter nur schlecht lesbar sind. Es sollten generell nicht mehr als drei Hierarchien auf einem Blatt verwendet werden.
    1. Die Aufmerksamkeit der Kinder wird mithilfe der Dramaturgie (Komposition) gut gelenkt. Einfache Mittel, wie immer wieder verwendete Elemente, z. B.. ein Rahmen um die wichtigsten Regeln, die sich die Kinder merken sollen, oder die Markierung der Arbeitsschritte, helfen bei der Orientierung auf den Arbeitsblättern.
    1. Je weniger Information auf dem Blatt, desto prägnanter wirken die Inhalte. Papier- und Zeitsparen sind gute Vorsätze, jedoch sollte man überprüfen, wo die Wahrnehmungsgrenze von Grundschulkindern ist.
    1. Damit die Arbeitsblätter etwas Liebevolles und Persönliches erhalten, könnten die Lehrer der kindlichen Kreativität mehr Platz einräumen. Schon mit einem bunten Zeichen, ausgemalten Buchstaben etc. wird so ein Blatt für die Kinder wertvoll und zu etwas Besonderem.
    1. Ideale wäre zudem eine bessere technische Ausstattung der Schulen und ein Training für die Lehrer in den einfachen Layout- und Bildbearbeitungsprogrammen.