Zwetana Penova,
Service & Product Design

Open Educational Resources Konferenz 2013 - Weniger Verlag, mehr Service!

Published September 23, 2013

BarCamp OER13

Mutig, mutig. Stefan, Mitarbeiter eines Bildungsverlags, malt ein großes Buch in die Mitte, rund um das Buch dann mehrere kleine Kreise - die begleitenden digitalen Angebote. Ein Geschäftsmodell, das die Zukunft seines Verlags absichern soll. Könnt ihr mit dem Modell etwas anfangen oder sollte ich das Buch in der Mitte kleiner machen? fragt er die Runde.

Die Reaktion der Workshop-Teilnehmer, zumeist Lehrer und Pädagogen, ist eindeutig - danke, aber nicht so.

Das Schulbuch wird als zu unflexibel und zu geschlossen gesehen. Stattdessen wird von den neuen Services gesprochen, die bei der Suche und der Zusammenstellung der aktuellen Unterrichtsmaterialien helfen. Die Stimmen aus dem Teilnehmerkreis sprechen über die Notwendigkeit, die Lerninhalte aus verschiedenen Quellen remixen und weitergeben zu können, sie verändern und an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen zu können.

Bildungssysteme und OER

Diese oben beschriebene Situation stammt aus einer der vielen spannenden Diskussionen, die ich auf der Open Educational Resources-Konferenz, die am 14. und 15. September in Berlin stattfand, mitverfolgen konnte. Open Educational Resources, kurz OER, sind freie Bildungsmaterialien, die von den Autoren für die weitere Verwendung freigegeben werden (zum Beispiel mit CC-Lizenzen). Ziel dieser Konferenz war es nicht, nur die rechtliche Lage zu klären oder sich über die Best-Practice in Europa auszutauschen, sondern auch über die OER als Teil einer neuen Didaktik zu sprechen. Es geht darum, so Neil Butcher aus Südafrika, die alten Schulmodelle aus dem Industriezeitalter zu verabschieden und sich auf die neuen Formen des Wissenstransfers zu fokussieren. Diese neue Formen sollen die Kinder auf das Leben heute und morgen vorbereiten (Stichwort 21th Century Skills), und das kann mit den veralteten Methoden nicht gelingen. In seiner Rede forderte Neil Butcher das Auditorium auf, die große Chance, die die OER mitbringen, wahrzunehmen und die Bildungssysteme zu reformieren.

OER-Materialien

Das Internet ist voll mit lizenzfreien Materialien. Vieles davon ist nicht zu gebrauchen, vieles ist sehr gut. Die besten Professoren stellen Erklärungsvideos ins Netz, Forschungsinstitute publizieren ihre Dokumentationen, Fotografen geben ihr Material frei. Dazu kommen verschiedene staatliche und private Lehrer-Initiativen, die aktiv an der OER-Materialenentwicklung beteiligt sind.

Die Vorteile:

  • Kostenlos
  • Aktuell
  • Modular
  • International
  • Für Alle (mit Internet) zugänglich

OER im Ausland

In vielen Ländern Europas und in den USA wird die Idee der OER-Materialien staatlich unterstützt. Auf der Konferenz habe ich mir zwei Vorträge aus Polen und Norwegen angehört. Die Gründe für die OER-Unterstützung dort liegen in den hohen Schulbuchkosten. Der Staat unterstützt diese Projekte mit:

  • Mitteln, um die Inhalte zu kaufen
  • Bonus-Modellen für die Lehrer, die Inhalte liefern
  • Schulungen
  • Technischer Ausstattung der Schulen

Vor allem das Beispiel aus Norwegen (das Projekt NDLA läuft schon über fünf Jahre) hat mich sehr beeindruckt. Der Staat hat den interessierten Lehrern unterrichtsfreie Zeit zur Verfügung gestellt, damit sie an den OER-Inhalten für NDLA arbeiten. Außerdem hat jeder Schüler in Norwegen einen kostenloser Laptop oder ein Tablet.

OER in Deutschland

Die Beispiele aus Deutschland zeigten, dass OER-Materialien in den Schulen hier noch wenig verbreitet sind. Was sind die Hürden?

  • Anders als in den USA oder in Polen gibt es in Deutschland keine Elternlobby, die günstigere Schulbücher fordert.
  • Die Medienkompetenz eines durchschnittlichen Lehrers beschränkt sich auf die Nutzung von Word.
  • Die Schulen sind nicht ausreichend ausgestattet.
  • Bring your own device ist nicht erwünscht.
  • Kombiniert mit den konventionellen Lernmethoden bedeutet die Nutzung der neuen medialen Werkzeuge zusätzliche Arbeit.
  • Das föderale Schulsystem verhindert eine weite Verbreitung.

Service-Design und die digitalen Lernmodelle

Zurück zur der Situation im BarCamp bei der Konferenz. Die Teilnehmer waren definitiv Vorreiter, deren Bedürfnisse und Wünsche nicht die große Masse der Lehrerschaft repräsentieren. Noch nicht, aber möglicherweise bald, da solche Themen wie Bildungsreform, 21th Century Skills und freier Zugang zu Wissen an Aktualität und Bedeutung gewinnen.

In dem Workshop war die Zeit zu knapp, um diese Frage zu beantworten. Ich bin mit vielen Ideen nach Hause gegangen. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass die Bedeutung des Designs, ob in Fragen der Informationsarchitektur, bei Navigationssystemen, Suchfunktionen, in Archiven eher als nice to have statt als must have gesehen wird.

Heutige OER-Archive fühlen sich entsprechend an: Monotone, verschachtelte Benutzeroberflächen einer Standartsoftware (vorzugsweise Moodle). Ein explorativer, gar kreativer Umgang mit dem Interface spielt noch keine Rolle.

Während die Buchgestaltung über Jahrhunderte hinweg Erfahrungen im didaktischen Design gesammelt hat - Lesbarkeit, Wahrnehmung der Typografie, optimale Komposition, Verhältnis des Textes zum Bild, grafische Aufbereitung der Information etc. - werden die entsprechenden Kriterien in den digitalen Lernmedien erst definiert. Sie stecken noch voller Potential, das die Lehr- und Lernerfahrung unterstützen oder auch radikal verändern kann. Hier nur ein paar Punkte:

  • Spiel als Lernelement
  • Explorativer Einstieg
  • Kollaboratives Arbeiten / Lernen
  • Einbeziehung der verschiedenen Lerntypen
  • Peer-Learning

Damit solche didaktischen Einsätze von den Nutzern angenommen werden, braucht man mehr als gut sortierte Daten. Wir brauchen starke Interaktionskonzepte, die auf die Nutzungsgewohnheiten der Lehrer basieren. Wir brauchen einen gemeinsamen Nenner, der Schüler, Bibliotheken, Erzieher und Lehrer verbindet. Den finden wir bereits im Bereich der Konsum-Elektronik – beim Bestellen eines Fotobuchs, beim bei Spielen wie Angry-Birds, beim Video-Schneiden auf dem iPhone, beim Nutzen einer Klassenbuch-App und beim Lesen der Zeit auf dem Tablet.

Die Adjektive offen und kreativ gehören aus meiner Sicht in die Beschreibung eines Lehrers, und eben solche Services und Tools möchte ich ihm gerne an die Hand geben.

Informationen

Unesco über Open Educational Resources OER-Commons Wikimedia

Relevante Artikel auf Connecting Design