Zwetana Penova,
Service & Product Design

The Marshmallow Challenge - über das Glücksgefühl beim Spaghetti-Türme-Bauen

Published May 11, 2015

“Im Ernst? Wir sollen nun aus Spaghetti Türme bauen?” - Eine Workshop-Teilnehmerin schaut mich neugierig, aber auch etwas verunsichert an. Sie hat sich für eine “erwachsene” Veranstaltung bei der Berliner Stiftungswoche angemeldet. Es soll um die Design Thinking-Methode in der pädagogischen Arbeit gehen, und nun verteile ich zum Auftakt Spaghetti!

Die Regeln der Marshmallow Challenge

Die Marshmallow Challenge findet im Team (4-6 Leute) statt und folgt diesen Regeln:

Jedes Team bekommt:

  • 20 Spaghetti
  • eine Klebebandrolle
  • eine Bindfadenrolle
  • 1 Marshmallow (Standartgröße, ca. 2 cm Durchmesser)
  • 1 Schere (nur zum Schneiden)
  • nicht rutschende Unterlage für den Tisch (zum Beispiel Verpackungspapier, Frühstückstüten)

Aus diesen Materialien sollen die Teams innerhalb von 18 Minuten einen frei stehenden Turm bauen. Der Marshmallow darf nur oben eingesteckt oder aufgelegt werden. Der höchste Turm hat gewonnen!

Die 18 Minuten vergehen schnell, es bleibt bis zur letzten Minute spannend, welches Team das Rennen machen wird.

Dynamik der Marshmallow Challenge

Auf los geht’s los! An dem Tag haben wir vier Erwachsenen-Gruppen und ein Kinder-Team im Raum. Wenige trauen sich, die Spaghetti gleich anzufassen. Der erste Impuls im Team ist, alle Möglichkeiten zu besprechen und einen gemeinsamen Konsens zu finden. Der eine oder andere Teilnehmer/in versucht es mit einem Bauplan. Die Kinder legen gleich los. Das gemeinsame Diskutieren wird durch ein “Oh je, wir müssen uns beeilen!” nach einem prüfenden Blick auf die Uhr unterbrochen - und spätestens dann befassen sich die Teilnehmer mit den “Baumaterialien”.

Die Metamorphose kann beginnen - die zufällig aufgeteilten Teams wachsen in einer Beschleunigung zusammen. Es wird nach einer Lösung gesucht, und jeder versucht, sich und eigene Kompetenzen einzubringen. Die Zeit ist knapp, es ist vor allem “denken mit den Händen” angesagt. Schnell auf die Bewegung der anderen reagieren, die Idee gleich aufnehmen und weiterdenken, Unterstützung anbieten und zu einem Neuanfang ermutigen. Letztendlich können wir bei dieser Aufgabe schlecht auf frühere Erfahrungen und Gelerntes zurückgreifen. Die Freude ist groß, als der Turm steht! Die Enttäuschung ist bitter, falls er umfällt.

Teams

Tom Wujec war so fasziniert von diesem kreativen Spiel, dass er diese Aufgabe mit Hunderten unterschiedlicher Teams durchführte und die Ergebnisse untersuchte. Dabei hat er Folgendes festgestellt:

Die höchste Erfolgsrate bei den Spaghetti-Türmen erreichen „Kindergarten-Absolventen“, die schlechtesten Wirtschaftsstudenten. Der Grund dafür –sind die verschiedenen Arbeitsansätze der beiden Gruppen. Die Kinder legen gleich los, probieren mehrere Baustrategien und verspüren kein Bedürfnis, Diskussionsrunden zu veranstalten.Anderes die Wirtschaftsstudenten, die zunächst Baupläne anfertigen und gezielt nach einer perfekten Lösung suchen. Dadurch vergeuden sie ihre Zeit und kommen zum Schuss in Turbulenzen. Zum Mitnehmen aus diesem Vergleich ist der Fakt, dass die Arbeit mit kleinen iterativen Schritten und ein schnelles Prototyping oft zielführender sind als die analytische Suche nach der einzig richtigen Antwort.

Die zweite interessante Beobachtung von Tom Wujec ist, dass Teams aus Menschen mit dem gleichem Beruf nicht mit Kindern konkurrieren können. Zum Glück sind Architekten und Ingenieure einer Ausnahme. Interessant wird es aber, wenn ein homogenes Team, nehmen wir beispielsweise CEOs, durch einen IT-Manager ergänzt wird. Gleich wird der Turm um Einiges wachsen. Das zeigt, wie wichtig es ist, verschiedene Kompetenzen in ein Team zu integrieren.

Platz für das neue Denken schaffen

Ein Turm aus Spaghetti, gekrönt von einem süßen Stückchen ist eine Metapher für Aufgaben, die uns jeden Tag im (beruflichen) Leben begegnen. Dieser Turm, den wir errichten möchten, steht für eine innovative Idee, für Wünsche, etwas Neues zu erfinden. The Marshmallow Challenge motiviert dazu, vertraute Arbeitsprozesse abzulegen und einen offenen Ausgang zuzulassen. Die Voraussetzung dazu: Bereitschaft im Team, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Innovative Ideen brauchen eine kreative Atmosphäre, in der ausprobiert und gebaut werden kann, wo “umfallen” nicht als Niederlage, sondern als iterativer Schritt gilt, in der Experiment und Zufall willkommen sind. Diese 18 Minuten sind sehr gut investierte Zeit, um einen innovativen Prozess anzustoßen.

Am 18. April hatten wir eine Turm-Parade: fünf wunderschöne, phantasievolle Kreationen und viele glückliche Gesichter!

bild metropolis artikel zwetana

Fotos aus dem Workshop Einführung in das Design Thinking für die pädagogische Arbeit, den Michael Busch und ich in Kooperation mit der Stiftung Bildung am 18. April während der Stiftungswoche durchführten. Vielen Dank an dieser Stelle an unsere Design Thinking-Unterstützer: Jo Graff und Michael Schriber von kill your darling und Jannis Hegenwald. Danke auch an Ulf Hücker für die tollen Bilder.